Wie Harriet aus einem Reiseblog einen Buchverlag gründete
Harriet Dohmeyer ist das Gesicht hinter dem Blog "Fräulein Anker" und hat den Verlag Ankerwechsel gegründet. Wie es dazu kam, was ihre Motivation dahinter ist und welche Pläne sie noch in petto hat, hat sie uns in einem Gespräch verraten.
Harriet, wie bist du auf die Idee gekommen, Ankerwechsel zu gründen?
2013 habe ich den Hamburg- und Reiseblog "Fräulein Anker" gestartet. Seitdem beschäftige ich mich mit dem Fotografieren und Vorstellen von Orten, die für mich diesen bestimmten Charme haben – Cafés, Läden und Kulturplätze, die so eine Atmosphäre ausstrahlen, dass ich sofort alle meine Freunde dort hinschicken möchte. In einem Hinterhof in Prag entdeckte ich zum Beispiel mal ein Café, das mich sofort an eine grüne Oase erinnerte. Fast in einem Trancezustand verließ ich es. In anderen Läden waren es die leidenschaftlichen Gründer und Gründerinnen, die dafür sorgten, dass ich total beseelt von dannen zog. Nach vier Jahren als Blogautorin und einigen Jobs als Reisejournalistin für andere Verlage ist schließlich der Traum in mir herangewachsen, meine Inhalte in ein neues Format zu bringen: vom Bildschirm aufs Papier. Entstanden ist eine Reiseführerreihe, die spitz kuratiert wird und einem wie ein guter Bekannter die Lieblingsorte in der Stadt zeigt. Und weil ich für das Projekt ziemlich genaue Vorstellungen hatte, habe ich schließlich den Verlag dahinter selbst gegründet. Ich wollte nicht nur den Inhalt der Bücher erstellen und dann aus dem Prozess raustreten, sondern vor allem mit anderen Kreativen das Design entwickeln und auch selbst den Vertrieb der Bücher bewusst gestalten. So sollte es diese zum Beispiel vor allem in zum-Inhalt-passenden (Buch-)Läden geben und nicht beim bekannten Onlinegiganten.
Wofür steht die Marke Ankerwechsel und was ist eure Unternehmensphilosophie?
Stand heute sind wir ein junger unabhängiger Buchverlag, der auf spannende Metropolen blickt. Dabei stellen wir lokale Stadtgestalter*innen vor und arbeiten journalistisch unabhängig. #Supportyourlocalheroes und bewusstes Entdecken steht für uns und unsere Leser*innen also aktuell im Vordergrund. Aber ich bin offen gegenüber weiteren Buchthemen. Deshalb kann ich als langfristigen Ansatz vor allem eins nennen: Bücher mit Neugierde und Leidenschaft machen.
Wie werden die Bücher hergestellt und woher kommen die Materialien?
Inhaltlich recherchiere und besuche ich alle Orte selbst, führe Interviews mit Gründern und Gründerinnen und fotografiere. Dann setze ich mich mit der Grafik-Designerin Violetta Sanitz zusammen, die das Layout der Hallo-Bücher gestaltet und wir besprechen, wie wir die jeweilige Stadt erzählen wollen. Im ganzen Projekt ist der Austausch zwischen uns wohl am größten. Das liegt sicher auch daran, dass wir uns stundenlang über Bildsprache und Design unterhalten können. Später im Prozess spielt außerdem die Illustratorin Saskia Rasink aus Amsterdam eine Rolle. Sie entwirft für jedes Buch eine Doppelseite als Karte, die eine Übersicht über alle 27 Tipps bietet und zur Orientierung dient. Dann folgen natürlich noch Punkte wie Lektorat und Korrektorat, bis ein neues Hallo-Buch druckreif ist. Gedruckt wird schließlich hier bei uns in Hamburg bei der lokalen Druckerei Reset St. Pauli. Wir drucken zu 100 % klimaneutral und die Bücher werden nicht einzeln eingeschweißt, um unnötigen Plastikmüll zu vermeiden. Ich will aber ganz mit offenen Karten spielen: Unser Ziel ist es, zwar in möglichst allen Punkten nachhaltig zu agieren – und ich glaube, wir sind schon gut dabei – aber aus Kostengründen gibt es z. B. beim Papier noch Verbesserungspotential.
Wo siehst du die größte Herausforderung beim Aufbau und der Aufrechterhaltung eines kleinen Unternehmens?
Wo nicht? Spaß. Als kleiner Buchverlag ist es natürlich jedes Mal eine große Herausforderung, den Druck der Bücher vorzufinanzieren. In diesem Kontext bin ich besonders dankbar für die treuen Leser und Leserinnen, die das Projekt von Anfang an unterstützen und uns bei jeder Neuerscheinung wieder fleißig mit (Vor-)Bestellungen den Rücken stärken. Die größte Schwierigkeit ist am Ende wahrscheinlich, dass man schlicht sehr viel selbst machen muss, einfach um nicht das Geld auszugeben, das man nicht besitzt. Ich agiere also an vielen Punkten in Personalunion, von der Social Media-Arbeit über den Vertrieb bis hin zur Auslieferung – bei unseren Resellern in Hamburg mache ich die meist selbst mit dem Fahrrad und auch alle Bücher, die direkt bei uns bestellt werden, verpacke und versende ich persönlich, inklusive handgeschriebener Grußkarte. Aber ich mag all diese Aufgaben und letztlich möchte ich lieber einen kleinen Verlag führen, der organisch wächst und dabei noch meinen Vorstellungen entspricht… Als einen anderen Weg einzuschlagen, der womöglich meine Prinzipien über den Haufen wirft.
Gibt es soziale/nachhaltige Projekte, die ihr derzeit unterstützt oder in Zukunft unterstützen möchtet?
Seit 2018 sind wir im Förderkreis der Hamburger Straßenzeitung „Hinz&Kunzt“. Dank meiner Arbeit mit dem Ankerwechsel Verlag habe ich übrigens auch das Thema meiner Masterarbeit über „Straßenzeitungen im Zeitalter der Digitalisierung“ entdeckt. Ich war eigentlich nur im Büro der Straßenzeitung, um Spenden abzugeben, die wir an unserem Stand auf einem Designmarkt gesammelt hatten und bin dann durch ein Gespräch darauf gestoßen.
Was sind die langfristigen Ziele für Ankerwechsel und was wollt ihr in Zukunft noch erreichen?
Weiter machen, unseren Vertrieb ausbauen, noch mehr schöne Bücher herausbringen – aber eins nach dem anderen und alles zu seiner Zeit! Das Wichtige ist für mich, dass wir weiter mit Herzblut und Überzeugung dabei sind und unserem hohen Anspruch an das Endergebnis treu bleiben. Denn ich glaube, diese Liebe spürt man – genauso wie ich sie bei den Orten fühle, die wir vorstellen.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke und das inspirierende Gespräch, Harriet!
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Fotos: © Ankerwechsel/ Malte Dibbern